SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Dienstag, 22. August 1989, Seite 4

Wahlhausener Schüsse lenken von Sopron ab
Der sinnlose Anschlag bietet den DDR-Medien Stoff für Schlagzeilen

(Von Albrecht Hinze)
Berlin/DDR - Die DDR-Autoritäten und damit die DDR-Medien nehmen offiziell weiterhin nicht oder allenfalls mittelbar von der derzeitigen Flucthwelle aus ihrem Lande Kenntnis. Erich Honecker hat vor einiger Zeit einmal die schöne Auskunft gegeben, die DDR sei entgegen anderslautenden Verleumdungen ein Staat großer Informationsvielfalt. Zur Begründung führte er an, daß ja Rundfunk und Fernsehen aus Westdeutschland und Westberlin ihr Kontrastprogramm unbehindert hereinstrahlten. Honecker erkannte damit unausgesprochen an, daß viel Wissensdurst und viel Unterhaltungsbedürfnis der Menschen bei ihm von draußen befriedigt werden oder anders herum: von innen nicht befriedigt werden können oder sollen. In diesen Tagen, da die Massen-Auswanderung ins spektakulären Besetzungs- und Fluchtszenen sinnfällig wird, rückt das besonders ins Bewußtsein. Keineswegs behindert, sondern eher großzügig geduldet, wenn nicht fast gefordert werden zunehmend und schon seit Jahren der Satellitenschüssel-Bau oder die Verkabelung in jenen Gegenden der DDR, die zu ungünstig für den herkömmlichen Antennen-Empfang liegen. Das gilt für den Raum Dresden, die Lausitz, die östliche Ostseeküste. Dies ist eine Flucht nach vorn: Denn in jenen "Tälern der Ahnungslosen", wo die West-Faszination und das Gerüchtewesen um so größer sind, wurden und werden noch immer - im Vergleich zur Bevölkerungszahl - die meisten Ausreise-Anträge gestellt. Die DDR-Medien haben sich längst darauf eingestellt und damit abgefunden, von der Bevölkerung entweder gänzlich abgelehnt und ignoriert oder höchstens als notdürftige Alternative zu den Westmedien akzeptiert zu werden. Vor allem in gespannten Situationen, wie jetzt angesichts der Botschaftsbesetzungen in Ostberlin, Budapest und Prag und der Ausreseflut über Ungarn, reagieren die DDR-Medien regelmäßig zögernd und unsicher auf die Nachrichten-Vorgaben aus dem Westen. Sie gehen offenkundig zu Recht davon aus, daß die Neuigkeiten - und seien sie noch so aufwühlend - vom übergroßen. Teil der Bevölkerung sowieso nicht auf DDR-Kanälen gesucht und empfangen werden. Soi wird unter den Leuten in der DDR zur Zeit zwar vielfältig über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen und Folgen des Exodus gesprochen: es wird über Auswege, auch Reformauswege im eigenen Land, diskutiert. Aber die herrschende Sozialistische Einheitspartei, die sich hier allezeit und gern die führende Rolle zumißt, ist weggetaucht. Sie beschränkt sich auf Hinweise und Signale: Zuletzt lernte man am Wochenende erneut den Völkerrechtsstandpunkt kennen, den der stellvertretende Außenbminister Krolikowski dem Kanzleramtsminister Seiters am Freitag vorgetragen hatte. Zur Sche selbst, der sickernden und flutenden. Abwanderung, gibt es mindestens vorest nur Schweigen. Der Mssenausbruch beim Grenzfestival in Sopron ist, muß man hier meinen, überhaupt nicht geschehen. Dagegen kam der sowieso unsinnige, pistolerohafte Anschlag auf das DDR-Grenzdorf Wahlhausen an der Werra wie gerufen. Er macht nun die Schlagzielen in der DDR.


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